Naturdärme

Geschichte

Wurst ist die vermutlich älteste Form von verarbeitetem Fleisch. Manche betrachten sie sogar als das erste „Fertiggericht“ der Welt.

Die Geschichte der Wurstherstellung verläuft parallel zu der von Mensch und Zivilisation. In der Tat wurde der Darmtrakt der zu Fleisch verarbeiteten Tiere seitdem die Menschen Fleisch essen schon immer als Wursthaut verwendet. Eine große Vielzahl von Würsten wird bis heute weltweit unter Verwendung der verarbeiteten Därme (und anderen Innereien) von Schweinen, Schafen, Ziegen und Rindern sowie in geringer Zahl von Pferden hergestellt.

Wurst – 6000 Jahre alt

Es wird oft angenommen, dass Wurst circa 4000 v. Chr. von den Sumerern im Gebiet des heutigen Irak erfunden wurde. Hinweise auf ein gekochtes Fleischprodukt, das wie eine Wurst in einen Ziegenmagen gefüllt wurde, gibt es aus Babylon, wo es als Rezept im ältesten Kochbuch der Welt bereits vor 3750 Jahren beschrieben wurde (Yale Babylonian Collection, New Haven, Connecticut, USA).

Die chinesische Wurst Làcháng, die aus Ziegen- und Lammfleisch besteht, wurde erstmals im Jahr 589 v. Chr. erwähnt. Der griechische Dichter Homer erwähnte in seiner vermutlich um 720 v. Chr. geschriebenen Odyssee eine Art Blutwurst (Buch 20, Vers 25), Epicharmos (circa 550 – 460 v. Chr.) schrieb eine Komödie mit dem Titel „Die Wurst“ und die alten Römer liebten „tomacula ferventia“, heiße Würstchen, als Vorspeise. Blutwurst kannte man auch im antiken Ägypten.

Mittelalter

Jedoch erst während der letzten tausend Jahre wurde die Wurstherstellung zu einem ehrwürdigen und hoch entwickelten Handwerk. Es entstand eine große Tradition – anspruchsvoll und dennoch persönlich. Viele Familien haben ihre besondere Kunst über dutzende Generationen und Nationen hinweg weitergegeben, und jeder Wurstmacher steuerte seinen Geschmack und sein Erbe bei. Auch Regionalität spielt eine wichtige Rolle, die Wurstproduktion wurde immer auch durch die verfügbaren Zutaten und die Nachfrage des Marktes beeinflusst.

Das zwanzigste Jahrhundert

brachte die Industrielle Revolution, die mit neuen Technologien auf die Weltbühne platzte, und die Weltbevölkerung wuchs um Milliarden. Diese „doppelte Wucht“ erzeugte den Bedarf an Massenproduktion in geradezu allen Industriebereichen, besonders auch bei Lebensmitteln. Anfangs bestanden die Ziele der Massenproduktion vorrangig aus „Qualität“ und „Geschwindigkeit“. Mit der Zeit bekam die „Qualität“ auch dank neuer Technologien allerdings immer mehr Gewicht. Die Fleisch verarbeitende Industrie wurde mit ihren eigenen Herausforderungen und Anforderungen bezüglich Schlachtung, Verarbeitung und Lebensmittelsicherheit konfrontiert. „Effizienz“ und „Qualität“ wurden der Maßstab für Hersteller, die mit diesen Herausforderungen wuchsen und es schafften, den Anforderungen der Zeit Stand zu halten.

Und heute?

Die Wurstherstellung hat sich inzwischen zu einem hoch spezialisierten Geschäft entwickelt, in dem sich Produzenten nach der Art von „Fleischer Fachgeschäften“ mit einzigartiger Feinschmecker-Wurst genauso finden wie Konzerne, die jede Woche Millionen Kilo Wurst für breite Käuferschichten herstellen.

Verwendung – nicht nur für Wurst

Es ist weithin bekannt, dass Naturdärme auch heute noch zur Herstellung von Saiten für Musikinstrumente oder Tennisschläger verwendet werden. Bekannt ist vielleicht auch noch, dass aus ihnen sogenanntes Katgut zum Vernähen von Wunden hergestellt wird; der griechische Arzt Galén hat bereits im 2. Jahrhundert hierüber berichtet.

Als Johann Philipp Reis im Jahre 1861 das von ihm entwickelte Telefon in Frankfurt/Main der Weltöffentlichkeit mit der Durchsage „Das Pferd frisst keinen Gurkensalat“ vorstellte, war der Naturdarm ebenfalls dabei. Denn Grundlage für seine Experimente war das Holzmodell einer Ohrmuschel, im dem er ein aus Schweinedarm geformtes „Trommelfell“ verwendete. Ein feiner Platinstreifen simulierte die Gehörknöchelchen.

Klerus und Naturdarm

Eine besondere und den meisten nicht bekannte Verwendung von Naturdärmen kann man im Domschatz von Halberstadt bewundern: die Häutchengoldfäden auf kirchlichen Messgewändern. Die Textilrestauratorin, die die Halberstädter Textilschätze seinerzeit betreute, schrieb uns auf unsere Anfrage nach einer Besichtigung im Jahre 2008:
„Häutchengoldfäden wurden vom späten 10. bis zum mittleren 16. Jahrhundert verwendet. An der Oberseite vergoldete oder versilberte, in dünne Streifen geschnittene Darmhäutchen wurden um eine Seele (Seiden- oder Leinenfaden) gewickelt. Da das Material recht kostbar war, wurde es beim Sticken so verarbeitet, dass der Goldfaden nur an der Schauseite sichtbar war. Der Goldfaden wurde auf den Stickgrund gelegt und mit oft farbigen Seiden- oder Leinenfäden „angelegt“, also befestigt, wobei durch die sichtbaren Anlegestiche verschiedenartige Musterungen zustande kamen.“ (Danke, Frau Frank!)
Fahren Sie mal hin, es lohnt sich.

Andere Innereien

Hauptverwendung finden Naturdärme jedoch seit jeher in der Wurstproduktion, und das wird wohl auch so bleiben. Dabei kümmern sich Naturdarmproduzenten und -händler allerdings nicht nur um die Därme der Schlachttiere, sondern auch um andere Innereien, die verschiedenste weitere Verwendungsmöglichkeiten haben. So werden Schweinemägen für die Herstellung diverser Fleischgerichte benutzt (z.B. Pfälzer Saumagen, Schottischer Haggis), Schweine- und Rinderblasen für Rot- und Bierwurst. Schweinemägen dienten darüber hinaus der Aufbewahrung von Flüssigkeiten auch auf Reisen, Thomas Henry benutzte im 18. Jahrhundert bei Versuchen zur Herstellung von Sodawasser Schweineblasen zur Einleitung von Kohlensäure. Und während der Rinder-Blinddarm noch heute für original italienische Mortadella verwendet wird, stellt man bereits seit Jahrhunderten (und seit einigen Jahren wieder) aus dem Blinddarm von Schafen Naturkondome her.

Ein Naturprodukt mit speziellen Eigenschaften

Naturdärme sind höchst vielseitig. Sie haben Eigenschaften, mit denen keine von Menschen hergestellte Wurstpelle mithalten kann:

  • Sie sind gut rauchdurchlässig.
  • Naturdärme besitzen ausgezeichnete Elastizitäts- und Zugeigenschaften, die eine hoch effiziente Produktion und eine hohe Dehnbarkeit während des Füllens erlauben.
  • Durch ihre ausgezeichnete Stabilität ermöglichen sie maximale Füllergebnisse.
  • Sie schützen den feinen Geschmack der Wurst, ohne ihn durch einen Eigengeschmack zu verfremden.
  • Wurst im Naturdarm hat den gewissen „Biss“, wie Sie ihn bei keinem künstlich hergestellten Produkt finden werden und der von den heutigen anspruchsvollen Kunden so sehr gewünscht wird.
  • Die osmotische Qualität von Naturdärmen verleiht der Wurst hervorragende Kocheigenschaften und ermöglicht dank ihrer Porosität das gleichmäßige Reifen von Salami und anderen Rohwürsten.
  • Naturdärme sind der beste Nährboden für Edelschimmel, der für zusätzliche Würze und ein besonderes Aroma in Salamis und anderen Rohwürsten sorgt.
  • Naturdärme bieten nicht nur das beste Aroma, sondern auch das beste Aussehen für Ihr Produkt.
  • Das Wort „Natur“ ist und bleibt eines der schlagkräftigsten Wörter bei der Kaufentscheidung der Kunden.

Umwelt und Ressourcen

Schaf-Schatten-weiß

© cglightNing / Fotolia.com

Im Sinne einer die Ressourcen schonenden und umweltbewussten Lebensmittelproduktion ist es unseres Erachtens unerlässlich, dass Tiere, die dem menschlichen Verzehr dienen, so vollständig wie möglich verwertet werden. Hierdurch sparen nicht nur die Schlachtbetriebe Kosten, die sie andernfalls für Konfiskate zahlen müssen, sondern es ist auch ethisch kaum vertretbar, verwendbare Produkte zu vernichten.

Schwein-Schatten-weiß

© cglightNing / Fotolia.com

Die Eigenproduktion macht zudem unabhängiger von Importen.

Wir wünschen uns daher, dass eines Tages alle Naturdärme, Innereien und Schlachtnebenprodukte, die in den Schlachtbetrieben anfallen, für die Lebensmittelproduktion verwendet werden.

Da wir immer wieder danach gefragt werden, abschließend ein paar Informationen zum

Lagern und Füllen von Naturdärmen.

Naturdärme sollten bei kühlen 6 bis 8 Grad Celsius gelagert werden. (Anmerkung: Es gibt jedoch Studien mit dem Ergebnis, dass die Lagerung bei einer Raumtemperatur von um 20° C optimal ist.)

Dabei müssen die Därme mit Lake oder Salz luftdicht abgedeckt und in geschlossenen Behältnissen gegen Licht geschützt gelagert werden.
Sofern Sie gesalzene Naturdärme mit einem MHD von mehr als 180 Tagen kaufen, sollten Sie diese Fässer nach spätestens 180 Tagen öffnen, kontrollieren und den Salzspiegel ggf. mit frischem feuchtem Salz auffüllen, um Salzrost zu verhindern.

Vor dem Füllen wird der Naturdarm, auch wenn er füllfertig geliefert wurde, durch Wässern sorgfältig entsalzen.

Die Därme sollten – je nach Wandstärke – zwischen 1 und 12 Stunden in Wasser einweichen.

Unmittelbar vor dem Füllen werden sie in lauwarmes (!) Wasser gelegt, damit …

  • sich die Bindegewebsfasern der Darmwand dehnen.
  • die Därme für das Füllen geschmeidig werden.

Wichtig beim Füllen: Die Tülle muss dem Kaliber des Darms entsprechen, um …

  • eine maximale Elastizität zu erreichen.
  • eine volle Ausnutzung des vorgegebenen Kalibers und der zugesicherten Eigenschaften zu gewährleisten.

Bereits eingeweichte Naturdärme, die nicht gebraucht werden, können problemlos nur mit Salz konserviert werden.

obere Abbildung: Schafbock, ca. 1400, Lombardei; aus der Handschrift „Placitus, Sextus, Papyriensis. Liber medicinae ex animalibus“, digitale Sammlung der UCLA (public domain)